Wer durch eine Straftat geschädigt wurde, etwa durch eine Körperverletzung, einen Diebstahl oder eine Sachbeschädigung, leidet häufig nicht nur unter den seelischen oder körperlichen Folgen, sondern auch unter finanziellen Einbußen. Viele wissen nicht, dass sie dafür nicht zwangsläufig den langen Weg über ein Zivilgericht gehen müssen. Denn es gibt die Möglichkeit, sogenannte vermögensrechtliche Ansprüche – wie Schmerzensgeld oder Schadensersatz – direkt im Strafprozess geltend zu machen. Dieses Verfahren nennt man Adhäsionsverfahren.
Was ist das Adhäsionsverfahren?
Das Adhäsionsverfahren ist ein rechtliches Mittel für Geschädigte, mit dem sie zivilrechtliche Ansprüche aus einer Straftat im laufenden Strafprozess gegen die beschuldigte Person stellen können. Der Begriff „Adhäsion“ stammt vom lateinischen „anhaften“, denn die zivilrechtliche Forderung wird gewissermaßen an das Strafverfahren „angehängt“. So kann bereits im Strafurteil über die finanzielle Entschädigung entschieden werden, ohne dass es dafür ein weiteres Verfahren vor dem Zivilgericht braucht.
Welchen Zweck erfüllt dieses Verfahren?
Das Adhäsionsverfahren soll verhindern, dass über dieselbe Sache zweimal vor Gericht verhandelt wird. Wenn das Strafgericht also bereits über den Anspruch des Geschädigten entscheidet, entfällt ein zusätzlicher Zivilprozess. Gleichzeitig profitieren Geschädigte davon, dass Beweismittel, die ohnehin im Strafverfahren erhoben werden – etwa Zeugenaussagen oder Gutachten – auch für ihren Anspruch genutzt werden können. Das spart Zeit, Kosten und Aufwand.

Wer kann einen Antrag im Adhäsionsverfahren stellen?
Antragsberechtigt sind Personen, die durch die Straftat einen Schaden erlitten haben. Wichtig ist, dass der Anspruch direkt mit der Straftat zusammenhängt und noch nicht vor einem Zivilgericht geltend gemacht wurde. Der Geschädigte muss zudem den Antrag in einer bestimmten Form stellen: schriftlich oder zur Niederschrift bei der Geschäftsstelle des Gerichts oder mündlich in der Hauptverhandlung. Damit der Antrag wirksam ist, muss er genau bezeichnen, worum es geht (zum Beispiel eine bestimmte Geldsumme) und auf welcher Grundlage der Anspruch besteht. Es ist außerdem sinnvoll, mögliche Beweismittel anzugeben, auch wenn das Gericht diese im Strafverfahren ohnehin selbst erhebt, da im Unterschied zum Zivilverfahren der Amtsermittlungsgrundsatz gilt.
Wann und wie wird über den Antrag entschieden?
Das Gericht entscheidet im Rahmen des Strafurteils über den Adhäsionsantrag. Dabei ist es an den gestellten Antrag gebunden und darf nicht mehr zusprechen, als beantragt wurde. Wird dem Antrag stattgegeben, hat das Urteil dieselbe Wirkung wie ein Zivilurteil. Das bedeutet: Der Anspruch kann direkt vollstreckt werden, zum Beispiel durch einen Gerichtsvollzieher, falls die verurteilte Person nicht freiwillig zahlt. Es gibt allerdings auch Fälle, in denen das Gericht von einer Entscheidung absieht. Das kann passieren, wenn der Antrag unbegründet oder unzulässig ist, der beschuldigten Person die Straftat nicht nachgewiesen werden kann oder wenn der Antrag so komplex ist, dass er das Strafverfahren unverhältnismäßig verzögern würde. In diesen Fällen bleibt der Weg zum Zivilgericht weiterhin offen. Auch wenn der Antrag nur teilweise Erfolg hat, kann der nicht zugesprochene Teil später zivilrechtlich eingeklagt werden.
Welche Rolle haben Geschädigte im Adhäsionsverfahren?
Im Adhäsionsverfahren erhalten Geschädigte eine deutlich aktivere Rolle im Strafprozess. Sie dürfen an der gesamten Hauptverhandlung teilnehmen, selbst dann, wenn sie später als Zeugen vernommen werden sollen. Allerdings gibt es eine Einschränkung: Geschädigte können gegen die Entscheidung über ihren Antrag im Adhäsionsverfahren kein Rechtsmittel einlegen, also zum Beispiel keine Berufung oder Revision beantragen. Der Grund: Sie sind durch die Entscheidung rechtlich nicht beschwert, weil ihnen weiterhin offen steht, den Anspruch vor einem Zivilgericht geltend zu machen, wenn das Strafgericht nicht oder nicht vollständig darüber entscheidet.
Welche Vorteile hat das Adhäsionsverfahren für Geschädigte?
Der größte Vorteil besteht darin, dass der Geschädigte seine zivilrechtlichen Ansprüche direkt im Strafprozess geltend machen kann. Es ist also kein zweites Verfahren nötig. Das spart Zeit, Geld und Aufwand. Auch die Beweislage ist oft günstiger, weil das Gericht die relevanten Tatsachen im Strafverfahren ohnehin selbst aufklären muss. Für viele Geschädigte ist es zudem eine psychische Entlastung, wenn nicht noch ein Zivilprozess folgt. Ein weiterer praktischer Aspekt: Täter zeigen im Strafverfahren häufig eher Bereitschaft zur Wiedergutmachung, weil sich das strafmildernd auswirken kann. Wer also bereits im Prozess Schmerzensgeld zahlt oder sich vergleichsbereit zeigt, hat oft mit einer milderen Strafe zu rechnen. Das kann auch den Geschädigten zugutekommen, etwa durch eine schnellere Zahlung oder die Vermeidung eines zusätzlichen Rechtsstreits.
Gibt es auch Grenzen oder Nachteile?
Ja, das Adhäsionsverfahren ist nicht für jeden Fall geeignet. Bei besonders komplizierten zivilrechtlichen Fragen entscheiden die Strafgerichte häufig nicht über den Antrag. Auch wenn die Entscheidung den Strafprozess erheblich verzögern würde, lehnt das Gericht die Behandlung im Adhäsionsverfahren ab. In solchen Fällen bleibt dem Geschädigten nur der Weg über das Zivilgericht.
Zudem ist das Gericht an den Antrag gebunden. Wer also einen zu niedrigen Betrag beantragt, bekommt auch nur diesen zugesprochen, selbst wenn mehr angemessen wäre. Es ist daher ratsam, sich juristisch beraten zu lassen, bevor man einen Antrag stellt.
Wo ist das Adhäsionsverfahren gesetzlich geregelt?
Das Adhäsionsverfahren ist in den §§ 403 bis 406c der Strafprozessordnung (StPO) geregelt. Dort finden sich die Voraussetzungen, der Ablauf und die Wirkung einer Entscheidung des Strafgerichts über den zivilrechtlichen Anspruch.
Das Fazit
Das Adhäsionsverfahren ist eine sinnvolle Möglichkeit für Geschädigte, im Rahmen eines Strafverfahrens auch ihre finanziellen Interessen durchzusetzen. Es spart Aufwand, beschleunigt die Durchsetzung von Ansprüchen und nutzt die bereits erhobenen Beweise des Strafprozesses. Gerade bei klaren Sachverhalten und überschaubaren Forderungen kann es eine effektive Alternative zum Zivilprozess sein. Wer durch eine Straftat geschädigt wurde, sollte sich daher frühzeitig rechtlich beraten lassen, ob ein Adhäsionsantrag im konkreten Fall sinnvoll ist.
In allen strafrechtlichen Angelegenheiten vertritt Sie gern Rechtsanwältin Frau Kumru Dursun.