Das deutsche Gesellschaftsrecht kennt neben dem formell bestellten Geschäftsführer auch den sogenannten faktischen Geschäftsführer. Darunter versteht man eine Person, die ohne offizielle Bestellung dennoch die tatsächliche Unternehmensleitung ausübt. Typischerweise tritt ein faktischer Geschäftsführer im Hintergrund als entscheidende Instanz auf, während nach außen vielleicht ein anderer (oft ein sogenannter Strohmann) als formeller Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen ist.
Unternehmer greifen bisweilen zu solchen Konstruktionen – etwa ein dominanter Gesellschafter, der alle wichtigen Entscheidungen selbst trifft –, in der Annahme, so Verantwortung zu vermeiden. Achtung: Dieser Ansatz ist rechtlich gefährlich, denn die Rechtsprechung stellt auf die tatsächliche Macht im Unternehmen ab und hält faktische Geschäftsführer nahezu genauso haftbar wie offizielle Geschäftsführer.
Was ist ein faktischer Geschäftsführer?
Ein faktischer Geschäftsführer (auch Schatten-Geschäftsführer oder Hintermann genannt) ist jemand, der wie ein Geschäftsführer handelt, ohne formal bestellt zu sein. Entscheidend ist das tatsächliche Verhalten. Wer maßgebliche Entscheidungen trifft und die Geschicke der Gesellschaft bestimmt, übernimmt faktisch die Geschäftsführung. Ein klassisches Beispiel ist der Alleingesellschafter einer GmbH, der im Tagesgeschäft alle Anweisungen gibt, während der eingetragene Geschäftsführer nur noch nach dessen Weisungen agiert. Auch ein extern engagierter Geschäftsführer, der nur pro forma fungiert (Strohgeschäftsführer), während eine andere Person im Hintergrund alle wichtigen Fäden zieht, führt in der Praxis zu einer faktischen Geschäftsführung. Kurz gesagt: Nicht der Titel, sondern die tatsächliche Machtausübung macht jemanden zum faktischen Geschäftsführer.
Abgrenzung zur formellen Geschäftsführung
Der Unterschied zum offiziellen Geschäftsführer liegt allein in der formellen Bestellung. Rechtswirkung und Pflichten können hingegen ähnlich sein. Gerichte prüfen stets das Gesamtbild der Tätigkeit. Eine einzelne unterstützende Handlung genügt noch nicht, aber eine dauerhafte, eigenverantwortliche Leitungsfunktion schon. So kann etwa ein Prokurist oder leitender Angestellter nicht automatisch zum faktischen Geschäftsführer – es sei denn, er überschreitet seine Befugnisse und überlagert die Rolle des eigentlichen Geschäftsführers in bedeutendem Umfang – werden.

Woran erkennt man einen faktischen Geschäftsführer?
Die Rechtsprechung hat Kriterien und Indizien entwickelt, um festzustellen, ob jemand als faktischer Geschäftsführer anzusehen ist. Das Oberlandesgericht Köln hat betont, dass nicht die formale Position, sondern das Auftreten und der Einfluss entscheidend sind (OLG Köln I-24 U 45/23). Maßgeblich ist, ob die Person durch ihr Verhalten den Eindruck erweckt, die Geschäfte der Gesellschaft maßgeblich zu lenken. Typische Anhaltspunkte aus der Rechtsprechung sind unter anderem:
• Umfassende Befugnisse: Die Person verfügt über weitreichende Entscheidungs- und Handlungsvollmachten im Unternehmen, deutlich über die eines normalen Angestellten hinausgehend.
• Prägender Einfluss: Sie prägt die wichtigen Entscheidungen und die Unternehmenspolitik wesentlich mit ihrem Einfluss. Oft zeigt sich dies daran, dass interne Abläufe ohne ihre Zustimmung nicht stattfinden.
• Auftreten nach außen: Gegenüber Geschäftspartnern, Kunden oder Banken tritt sie als eigentlich Verantwortlicher auf. Die Person verhandelt etwa große Verträge, entscheidet über Finanzen oder tritt als maßgeblicher Ansprechpartner des Unternehmens auf.
Weitere Hinweise können eine dauerhafte Ausübung dieser Funktionen (nicht nur einzelne Vertretungshandlungen) und eine überragende Stellung im Vergleich zum formellen Geschäftsführer sein. Kurzfristiges Einspringen oder bloße Unterstützung führen noch nicht zur faktischen Geschäftsführung – es geht um nachhaltigen, beherrschenden Einfluss im Kerngeschäft der Firma.
Haftung und Pflichten des faktischen Geschäftsführers
Wer faktisch die Rolle des Geschäftsführers übernimmt, muss wissen, dass er rechtlich wie ein echter Geschäftsführer behandelt wird. Die Haftung eines faktischen Geschäftsführers entspricht im Grundsatz der eines formellen Geschäftsführers. Konkret bedeutet das:
• Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft: Ein faktischer Geschäftsführer haftet etwa analog § 43 Abs. 2 GmbHG (Sorgfaltspflichten) für Pflichtverletzungen gegenüber der Gesellschaft. Verletzt er also die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters und entsteht der GmbH dadurch ein Schaden, kann er – trotz fehlender offizieller Bestellung – zum Schadensersatz herangezogen werden.
• Haftung bei Insolvenzreife: Nach § 15b InsO haftet ein Geschäftsführer persönlich für Zahlungen, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft noch geleistet werden. Diese Pflicht trifft auch den faktischen Geschäftsführer. Er darf bei eingetretener Insolvenzreife also keine Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen mehr vornehmen, andernfalls muss er diese Beträge ersetzen. Ebenso müssen die Insolvenzantragspflichten (§ 15a InsO)beachtet werden. Unterlässt ein faktischer Geschäftsführer dies, kann er sich wegen Insolvenzverschleppung strafbar machen. Die Verpflichtung zur Insolvenzanmeldung nach § 15a InsO gilt faktisch auch für den, der de facto das Unternehmen führt.
• Steuern und Sozialabgaben: Auch im Steuer- und Abgabenrecht kann der faktische Geschäftsführer wie ein Verantwortlicher behandelt werden. Ebenso kann er für vorenthaltene Sozialversicherungsbeiträge zur Verantwortung gezogen werden. Die Finanz- und Strafbehörden betrachten einen faktischen Geschäftsführer insoweit als sogenannten „verfügungsberechtigten“ Vertreter des Unternehmens.
• Strafrechtliche Verantwortung: Strafrechtlich gilt, dass bestimmte Sonderpflichten eines Geschäftsführers (etwa im Insolvenzstrafrecht oder Steuerstrafrecht) auch jemanden treffen, der faktisch diese Position innehat. Ein faktischer Geschäftsführer kann daher wegen verschiedener Straftatbestände belangt werden, wenn er die entsprechenden Taten begeht oder maßgeblich daran mitwirkt.
Wichtig: Die formale Nicht-Bestellung schützt also nicht vor Haftung. Wer im Hintergrund die Strippen zieht, trägt die Verantwortung.
Fazit: Verantwortung kennt kein Versteck
Der faktische Geschäftsführer einer GmbH steht heute klar im Fokus. Formale Konstruktionen – etwa ein Strohmann als offizieller Geschäftsführer – schützen nicht vor Haftung und Strafe. Entscheidend ist, wer de facto die Geschäfte führt. Unternehmer sollten daher genau überlegen, welche Rolle sie im eigenen Unternehmen einnehmen. Wer im Hintergrund die Leitungsfunktion ausübt, kann die volle Verantwortung für Rechtstreue, Insolvenzantragspflichten, korrekte Buchführung, Abfuhr von Steuern usw. tragen. Umgekehrt können sich auch geschädigte Geschäftspartner oder Anleger an einen faktischen Geschäftsführer halten, um Ansprüche durchzusetzen.
Für die Praxis bedeutet das: Lassen Sie sich nicht auf undurchsichtige Strohmann-Konstruktionen ein, um Pflichten zu umgehen. Im Zweifel ist es ratsam, rechtlichen Rat einzuholen, um Haftungsfallen zu vermeiden. Gerne berät Sie hier Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht Herr Maximilian Rohrbach.