Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – eine Zeitenwende

Für den Arbeitnehmer und auch für den Arbeitgeber war der Fall klar: Der Arbeitnehmer ist vom behandelnden Arzt arbeitsunfähig krankgeschrieben worden – das heißt er muss nicht arbeiten, erhält gleichwohl sein Gehalt im Wege der sog. Entgeltfortzahlung für einen Zeitraum von bis zu sechs Wochen ungekürzt weiter bezahlt. Der Beweiswert einer solchen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung war im Prinzip unerschütterlich…

Diese vormalige Regel gilt bereits seit einigen Jahren so pauschal nicht mehr!

So hat das Bundesarbeitsgericht zuletzt in einigen Entscheidungen (etwa zum Az. 5 AZR 248/23) den Beweiswert der AU-Bescheinigung zunehmend eingeschränkt. Gerade dann, wenn das Arbeitsverhältnis beendet wird und im zeitlichen Zusammenhang zu dieser Beendigung eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eingereicht wird – die zudem ggf. passgenau auf den Beendigungszeitpunkt ausgestellt ist – sieht das Bundesarbeitsgericht den Beweiswert einer solchen AU-Bescheinigung als erschüttert an. Dies hat zur Folge, dass sich die Darlegungs- und Beweislast umkehrt, d.h. der Arbeitnehmer muss nun seinerseits die Richtigkeit seiner Krankschreibung durch substantiierte Darlegung seines Erkrankungsgrundes, ggf. auch durch inhaltliche ärztlich sachverständige Stellungnahme nachweisen. Liegt dies nicht vor – so kann der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung schlicht verweigern. 

Gleiches gilt nach einer weiteren Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zum Az. 5 AZR 93/22 für den Fall, dass ein Arbeitnehmer bereits zuvor innerhalb eines halben Jahres für mehr als sechs Wochen (= 30 Arbeitstage!) arbeitsunfähig erkrankt war und er nun innerhalb dieses Halbjahres-Zeitraums erneut eine AU-ERST-Bescheinigung beim Arbeitgeber einreicht. Das Bundesarbeitsgericht hat entscheiden, dass der Arbeitgeber den Einwand des Arbeitnehmers auf Vorliegen einer neuen Ersterkrankung dann schlicht mit Nichtwissen bestreiten darf. Der Arbeitnehmer muss auch in diesem Fall dann substantiiert und dezidiert seine angeblichen diversen Ersterkrankungen im Einzelnen darlegen und zudem seine behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbinden. Auch hier kann der Arbeitgeber bei Nichtvorliegen die Entgeltfortzahlung dem Arbeitnehmer schlicht verweigern.

In beiden Fällen wird der Arbeitnehmer dann die verweigerte Entgeltfortzahlung vor dem zuständigen Arbeitsgericht einklagen und dort seinen Anspruch darlegen und beweisen müssen. Ein mühsamer und langwieriger Weg, der zudem oft genug erfolglos bleibt.

Arbeitnehmer sind hiernach gut beraten, sich nicht mehr ungeprüft auf jede Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ohne weiteres zu verlassen.

Gleichzeitig werden Arbeitgeber vom Bundesarbeitsgericht zuletzt ermutigt, eingereichte AU-Bescheinigungen ihrer Arbeitnehmer im Einzelfall durchaus auch einmal kritisch zu hinterfragen, ggf. dem Arbeitnehmer seinen vormals selbstverständlichen Entgeltfortzahlungsanspruch bei Krankheit zu verweigern.

In allen arbeitsrechtlichen Belangen berät Sie gern Fachanwalt für Arbeitsrecht Herr Alexander Fuchs.