Es gibt ein neues Urteil im Erbrecht (Landgericht (LG) Wuppertal, Urt. v. 6.1.2023 (2 O 298/19)) zum Thema Ausschlagungsfrist bei mehreren sich widersprechenden Erbfolgeregelungen. Im folgenden Beitrag werden der Fall sowie die rechtlichen Grundlagen des Urteils dargestellt.
Ab wann läuft die Ausschlagungsfrist bei mehreren sich widersprechenden Erbfolgeregelungen?
Zum Grundprinzip: Ein Erbe muss man nicht annehmen. Dem Erbe, berufen aufgrund der gesetzlichen Erbfolge oder aufgrund eines Testaments, steht es frei, sein Erbe auszuschlagen. Die Frist hierzu ist vom Gesetz mit 6 Wochen aber kurz gesetzt. Kurz, da in dieser Frist der Erbe abzuwägen hat, ob er das Erbe annehmen möchte oder nicht. Dies gestaltet sich zum Beispiel bei überschuldeten Nachlässen als schwierig. Die 6 Wochen beginnen in dem Moment zu laufen, in dem man Kenntnis davon hat, zum Erben berufen zu sein. Gibt es mehrerer sich widersprechende Erbfolgeregelungen, deren Verhältnis zueinander ungeklärt ist, so mag man sich nicht sofort Klarheit verschaffen können, ob man Erbe ist oder nicht. Dann kann der Lauf der Ausschlagungsfrist sich hinauszögern. Die Ausschlagung kann als Erklärung bei einem Notar beurkundet werden oder alternativ beim Nachlassgericht erklärt werden.
Der Fall
Eine Frau schließt mit ihrem ersten Ehemann einen Erbvertrag, in dem sie sich gegenseitig zu Erben einsetzen. Als Erben des Längerlebenden setzen die Eheleute u.a. die spätere Adoptivtochter der Frau ein und ordnen Testamentsvollstreckung sowie verschiedene Vermächtnisse an. Nachdem ihr erster Ehemann verstirbt, widerruft die Frau alle früheren Verfügungen von Todes wegen und setzt durch notarielles Testament ihren zweiten Ehemann als ihren alleinigen Erben ein. Kurze darauf errichtet sie ein weiteres notarielles Testament, in dem sie erneut alle vorherigen Verfügungen von Todes wegen widerruft und wieder ihre spätere Adoptivtochter zu ihrer Alleinerbin ohne Beschränkungen einsetzt.
Als die Frau einige Jahre nach der Adoption der Tochter verstirbt, stellt die Adoptivtochter auf Grundlage des letzten notariellen Testaments einen Antrag auf einen Erbschein, der sie als unbeschränkte Alleinerbin ausweist. Dieser wird mit dem Hinweis zurückgewiesen, dass die beiden zuletzt errichteten Testamente aufgrund der Bindungswirkung des Erbvertrages unwirksam seien. Daraufhin schlägt sie ihre Miterbenstellung aus dem Erbvertrag wegen Beschränkungen und Beschwerungen aus und macht gegenüber den übrigen durch den wirksamen Erbvertrag eingesetzten Erben ihren Pflichtteil geltend.
Beginn der Ausschlagungsfrist bei beachtlichem Rechtsirrtum gehemmt
Zu Recht, entscheidet das Gericht. Eine Ausschlagung mit dem Ziel, den Pflichtteil zu erlangen, ist grundsätzlich möglich, wenn die eigene Miterbeneinsetzung – wie hier – mit Testamentsvollstreckung bzw. Vermächtnissen beschwert ist. Die Ausschlagung hat aber innerhalb der vom Gesetz vorgesehenen 6-wöchigen Frist zu geschehen. Dies beginnt grundsätzlich erst zu laufen, wenn der Erbe weiß, dass er zum Erben berufen ist. Liegen mehrere sich widersprechende Erbfolgeregelungen vor, die Grundlage für die Berufung sein können, mag sich der Erbe über den Grund seiner Berufung irren. Ein solcher Rechtsirrtum kann den Beginn der Ausschlagungsfrist dann hemmen, wenn die Gründe für den Irrtum jedenfalls nicht von Anfang an von der Hand zu weisen sind.
Bei mehreren, sich inhaltlich völlig unterscheidenden Erbeinsetzungen, ist – zumal für juristische Laien – oft nicht erkennbar, welche Gültigkeit beansprucht. Knüpft er sein Handeln an die letzte Verfügung von Todes wegen an, so ist dies grundsätzlich nachvollziehbar, da eine mögliche Bindungswirkung eines vorangehenden Erbvertrages oft nicht ohne weiteres erkennbar oder vorhersehbar ist. Die 6-wöchige Ausschlagungsfrist beginnt in einem solchen Fall daher nicht, bevor nicht im Erbscheinsverfahren verbindlich über die Frage der Bindungswirkung entschieden ist.
Gerne berät Rechtsanwältin Frau Julia Gerstein-Thole Sie bei konkreten Fragen rund um die Thematik. Kontaktieren Sie uns gern.