Wegzug ohne Zustimmung des mitsorgeberechtigten Elternteils

Welche Folgen hat es, wenn ein Elternteil einen Wegzug ohne Zustimmung des mitsorgeberechtigten Elternteils mit dem gemeinsamen Kind vornimmt? Die neueste Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart unterstreicht die herrschende Rechtsprechung zum gemeinsamen Sorgerecht und stärkt das gemeinsame Sorgerecht.

Oberlandesgericht Stuttgart, Beschluss v. 10.2.2023 – 15 UF 267/22

  1. Zur Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht im Wege der einstweiligen Anordnung, wenn ein Elternteil ohne Zustimmung des Mitsorgeberechtigten mit den Kindern von Süddeutschland in ein Frauenhaus in Norddeutschland gezogen ist.
  2. Auch wenn der Umzug bereits vollzogen wurde, stellt dies die tatsächliche Ausgangslage für die Beurteilung des Kindeswohls und für die Abwägung der beiderseitigen Elternrechte dar. Die Möglichkeit einer Rückkehr des umgezogenen Elternteils kommt als tatsächliche Alternative ebenso wenig in Betracht wie der Nachzug des anderen Elternteils, selbst wenn ein ständiger Aufenthaltsort der Eltern in räumlicher Nähe zueinander dem Kindeswohl am besten entspräche.
  3. Auch bei einem widerrechtlichen Umzug ist die Entscheidung nicht an einer Sanktion des Fehlverhaltens eines Elternteils, sondern vorrangig am Kindeswohl zu orientieren (Anschluss BVerfG, FamRZ 2009, 189). Eine eigenmächtige Trennung des Kindes vom anderen Elternteil kann aber insoweit Berücksichtigung finden, als sie Rückschlüsse auf eine konkrete Einschränkung der Erziehungsfähigkeit zulässt (vgl. OLG Nürnberg, FamRZ 2013, 1588).

Was bedeutet die neueste Entscheidung konkret?

Trennen sich Eltern, sei es Eheleute oder auch nicht verheiratete Eltern und besteht das gemeinsame Sorgerecht, sind alle wesentlichen Entscheidung für das gemeinsame Kind auch zukünftig gemeinsam und unter Einbeziehung des Kindeswohls zu treffen. „Alleingänge“, in dem Sinne, dass Fakten geschaffen werden, haben zunehmend Konsequenzen, wie es die Entscheidung zeigt. Dies bezieht sich nicht nur auf Entscheidungen bei etwaigen Umzügen eines Elternteils, sondern auch z.B. auf Entscheidungen im Hinblick auf die Schulwahl und bei Entscheidungen in der Gesundheitssorge. Während der Corona-Zeit hatten sich die Gerichte immer wieder zu diesem Thema äußern müssen, wenn ein Elternteil einer Impfung für das Kind zustimmte und der andere sie verweigerte. Aufgrund des gemeinsamen Sorgerechts hatten in einer solchen Konfliktlage die Familiengerichte diese Einzelfälle im Sinne des Kindewohls jeweils als Einzelfallentscheidung zu entscheiden.

Im Falle eines Konflikts zu einer wesentlichen Entscheidung bei der Ausübung des gemeinsamen Sorgerechts sollte immer zuerst das Jugendamt aufgesucht werden, das – kostenfrei – vermittelt und moderiert. Sollte hier keine Lösung gefunden werden, sollte ein Fachanwalt für Familienrecht aufgesucht werden, der die Erfolgsaussichten eines Verfahrens einschätzen kann. Nicht zu unterschätzen ist die psychische Belastung dieser Verfahren vor dem Familiengericht. Dem minderjährigen Kind wird eine eigene rechtliche Vertretung (Verfahrensbeistand) zur Seite gestellt. Das Kind hat somit mit dem Jugendamt, seinem Anwalt und sollte keine Einigung gefunden werden, mit dem Familienrichter zu sprechen. Dies gilt ab dem 3! Lebensjahr eines Kindes.

Grundsätzlich sollte man sich daher immer bemühen, diese erhebliche Belastung dem Kind durch eine vorherige Einigungsfindung zu ersparen. Als Alternative zu einem sogenannten streitigen Verfahren vor dem Familiengericht kommt eine Mediation, die auch bei Gericht durchgeführt werden kann, in Betracht. Bei Bedarf steht Ihnen Rechtsanwältin Frau Julia Gerstein-Thole, ausgebildete Mediatorin, gern zur Verfügung.