Der BGH hat seine Rechtsprechung im Unterhaltsrecht modifiziert, vor allem in seiner Entscheidung vom 18.5.22 (XII ZB 325/20, dazu A. Möller, FK 22, 166 ff.):
Er hat zum einen die Rechtsprechung zum ungedeckten Kindesunterhaltsbedarf weitergeführt und zum anderen seine Rechtsprechung zum Wohnbedarf des Kindes weiterentwickelt. Der BGH berücksichtigt hier insbesondere, dass sich die Lebensstellung des minderjährigen Kindes von den Einkommensverhältnissen beider Eltern ableitet.
Über die Änderungen im Familienrecht im Mai 2023 informieren wir in diesem Beitrag.
Was besagt die Änderung genau?
Bei der Ermittlung des Bedarfs von Kindern kommt es auch beim Unterhalt minderjähriger Kinder auf die Lebensstellung beider Eltern an (BGH FamRZ 21, 28 Rn. 14). Allerdings ist der Unterhalt des Barunterhaltspflichtigen auf den Betrag gekappt, den er aufgrund des von ihm allein erzielten Einkommens zahlen müsste. Dies kann dann zu einem ungedeckten Bedarf führen, wenn der Betreuungsunterhalt leistende Elternteil ebenfalls ein (Erwerbs-)Einkommen hat. Im Rahmen der Ehegattenunterhaltsberechnung führt diese Konstruktion dazu, dass von dem Einkommen des dem Kind gegenüber barunterhaltspflichtigen Ehegatten ‒ wie schon immer ‒ der geleistete Barunterhalt und ‒ neuerdings ‒ von dem Einkommen des betreuungspflichtigen Ehegatten der ungedeckte Unterhaltsbedarf abzuziehen ist. Diese neue Rechtsprechung begünstigt den betreuenden Ehegatten. Ist er selbst Ehegattenunterhaltsberechtigt erhöht sich sein Unterhaltsanspruch, da nun berücksichtigt wird, dass auch er zur Bedarfsdeckung des Kindesunterhalts beiträgt.
Ein konkretes Beispiel
V hat ein bereinigtes Nettoeinkommen von 3.800 EUR. M hat ein bereinigtes Nettoeinkommen von 1.600 EUR. Nach der Trennung im Januar 2023 wohnen beide Beteiligte zur Miete. Das gemeinsame 13-jährige Kind K wohnt bei M. M verlangt von V Zahlung des Kindesunterhalts (KU) für K und Trennungsunterhalt (TU). | ||
Vorüberlegungen | ||
Bedarf des K gem. dem Gesamteinkommen der Eltern | 5.400 EUR | |
Düsseldorfer Tabelle (DT) 2023: Einkommensstufe (EKS) 10 / Altersstufe (ALS) 3 (ohne Höherstufung bei nur einem Kind) | 941,00 EUR | |
Zahlbetrag des V für K (DT 2023: EKS 6; nach Abzug des hälftigen Kindergeldes: (250 EUR ÷ 2 = 125 EUR) | 628,00 EUR | |
ungedeckter KU (Restbedarf), der vom Einkommen der M abzuziehen ist | 941,00 EUR | |
abzüglich | ./. 628,00 EUR | |
abzüglich (1/2 Kindergeld der M) | ./. 125,00 EUR | |
188,00 EUR | ||
Trennungsunterhalt der M | ||
Einkommen des V | 3.800,00 EUR | |
abzüglich Zahlbetrag KU (EKS 6 / ALS 3) | ./. 628,00 | |
3.172,00 EUR | ||
abzüglich 1/10 Erwerbstätigenbonus | ./. 317,20 EUR | |
unterhaltsrelevantes Einkommen des V | 2.854,80 EUR | |
Einkommen der M | 1.600,00 EUR | |
abzüglich ungedeckter Restbedarf des K (941 EUR ./. 628./. 125 EUR) | ./. 188 EUR | |
1.412,00 EUR | ||
abzüglich 1/10 Erwerbstätigenbonus | ./. 141,20 EUR | |
unterhaltsrelevantes Einkommen der M | 1.270,80 EUR | |
Summe Einkommen V und M (2.854,80 EUR + 1.270,80 EUR) | 4.125,60 EUR | |
geteilt durch 2 => Bedarf der M | 2.062,80 EUR | |
abzüglich Bedarfsdeckung | ./. 1.270,80 EUR | |
Trennungsunterhalt | 792,00 EUR |
Rechtliche Konsequenzen
Bislang wurde diese neue Rechtsprechung des BGH noch nicht in der Düsseldorfer Tabelle mit aufgenommen. Es bleibt somit abzuwarten, ob die jeweiligen Oberlandesgerichte der vom BGH eingeschlagenen Modifizierung im Unterhaltsrecht folgen werden. Erste Familiengerichte haben entsprechend des Kindes- und Ehegattenunterhalt ausgeurteilt.
Bei Fragen und Anliegen rund um die Themen Kindesunterhalt und Trennungsunterhalt berät Sie gern Fachanwältin für Familienrecht Julia Gerstein-Thole.